Gedichte Heimat


Der Verein Hand in Hand e.V. bietet neben vielfältigen Freizeitveranstaltungen und anderen Angeboten nun auch Texte und Gedichte zum Thema Sehnsucht an. Teilweise sind die Texte von anderen Autoren geschrieben und von Teilnehmenden übersetzt oder von ihnen selbst geschrieben worden.

Höre

Weiche dunkle Winterzeit
triste Tage geht dahin
schweres Schwarz der Dunkelheit
von dem ich so erschlagen bin
räum den Platz denn er gehört
dem Frühling der da naht
der immer wieder Treue schwört
den ich so oft zu bleiben bat
ruf die Freunde her zu mir
laß uns feiern bis zum Tod
öffne Seele, Geist und Tür
für den Kuss vom Morgenrot
amw

Mir fehlen die Tage

Mir fehlen die Tage, an denen ein Gewehr nur ein Spielzeug war
Mit Kugeln aus Kunststoff statt knallendem, tötendem Blei

Mir fehlen die Tage, an denen nur Sterne am Himmel glänzten
Als die Raketen nicht da waren, das Zwitschern noch nicht vorbei

Mir fehlen die Tage, an denen das Feuer Wärme im Winter spendete
Heute keine Spenden mehr, nur noch wutentbranntes Geschrei

Mir fehlen die Tage, an denen mein Vater mich nicht vor Freunden warnte
Mein Kind, wer weiß, jeder kann wohl ein Spitzel sein

Mir fehlen die Tage, an denen ich glaubte, Soldaten schützen uns alle
Jetzt tauchen sie immer in meinen Alpträumen auf, gierig und feig

Mir fehlen die Tage, an denen der Bus nicht an Trümmern vorbeifuhr
An denen die Kinder glücklich waren und nicht voller Kummer und Neid

Mir fehlen die Tage, an denen man alles nur im Fernsehen sah
Und dann, komplett unbeeindruckt, sagte, das tut mir wirklich leid

Mir fehlen vor allem die Worte
Hashem

Der Bauernhof meines Großvaters

Der Bauernhof meines Großvaters war mir immer so vertraut wie nichts sonst. Da bin ich von Klein auf aufgewachsen, da habe ich gespielt, gelacht, geschrien, mich verletzt und auch gelegentlich geweint. Meine Füße, den Dornen trotzig, führten mich durch struppige, grasbewachsene Pfade. Ungeachtet der Mahnungen meiner Mutter griffen meine kleinen Hände immer wieder nach Kiesel und weißem Sand, bis sie so blass wurden wie die Hände eines Gespensts. In diesem kleinen, landwirtschaftlichen Grundstück atmete ich ein und aus, mein Herz schlug, da bin ich vom Fahrrad gestürzt, den Baum hinaufgeklettert. Da verwandelte sich die Angst vor Insekten in eine überwältigende Neugier. Da war ich wirklich am Leben.

Und ich war ziemlich noch am Leben, als ich wieder vor dem schwarzen, vergitterten Eisentor stand, zehn Jahre, einen Krieg und eine Pandemie später. Dem Aussehen nach hat sich hier viel verändert, wie es nur zu erwarten war. Alles war wie von der Zeit mitgerissen. Selbst die hochragenden Bäume, die früher die Wolken zu durchstechen schienen, kamen mir jetzt kleiner vor, während die ausladenden Gemüsefelder bis auf ein paar Ausnahmen komplett brachstanden, als würde die Grüne von ihnen herausgesaugt. Ob das an der Kälte lag, wusste ich damals nicht. Das Schlimmste waren aber die Mauer, die vermeintlich gebaut wurden, um Eindringlinge einzuschüchtern. Vielleicht auch, um uns irgendwie einzusperren? Immerhin versperren mir die Ziegelsteine den Blick in die Ferne. Ich kann die Sonne bei ihrem Untergang nicht mehr beobachten.

Und doch gab es viel, was sich nicht wirklich verändert hat. Die Brise wehte so sachte wie früher und fegte dabei den unsichtbaren Blütenstaub hinweg. Die Katze, schläfrig und unbeeindruckt, gähnte und nahm uns nicht zur Kenntnis. Unter unseren Füßen knisterten die gefallenen goldbraunen Baumblätter, die den gewundenen Pfad bedeckten, und bei der Ameisen war wie immer Hochbetrieb. Dicht an dicht trugen sie in ihre Höhle Vorräte. Es war nämlich Herbst, die Jahreszeit, zu der sein Leben aushaucht, wenn auch nur für ein paar Monate.

Dieses Erlebnis wirft wichtige Fragen auf. Wer oder was hat sich verändert? Denn trotz alledem scheint mir, das der Bauernhof diese zehn Jahre gut überstanden hat. Es besteht großer Zweifel, ob das auch auf mich zutrifft. Vielleicht sehne ich mich nicht nach meinen Erlebnissen auf dem damaligen Bauernhof, sondern nach dem alten Ich, das so gut wie verstorben ist.
Hashem

Meine Sehnsucht

Ich sehne mich nach Freiheit.
Freiheit bedeutet für mich, dass ich machen kann, was ich will. Ich will essen, trinken, lachen, tanzen; sagen, dass ich denke, dass ich fühle, was wahr ist.
Was ist wahr? Ich lese keine Zeitung, ich schaue mir keine Nachrichten an. Ich habe meine Wohnung, meine kleine, schöne Wohnung, meine Nachbarschaft, meinen Deutschkurs und mein Vereinsleben - meine kleine Blase ist meine Wahrheit. Und ich habe die Hauptrolle darin! Niemand sonst!
Als Prinzessin strebe ich in meiner Hauptrolle nach der Krone. Eines Tages soll meine Blase größer, gigantischer werden. Ich will Macht!
Ich sehne mich aber eigentlich nur nach Ruhe.
Bedia

Sehnsucht

Ich persönlich sehne mich nach Freiheit, insbesondere finanzielle Freiheit. Das bedeutet für mich eines Tages selbst entscheiden zu können, ob ich arbeiten will oder nicht.
Ich möchte mich aus dem Hamsterrad befreien jeden Tag aufzustehen und zur Arbeit gehen zu müssen, weil es finanziell notwendig ist. Dieses Ziel versuche ich zu erreichen, indem ich mich bemühe möglichst viel Geld zu sparen und zu investieren. Als überzeugter Kapitalist glaube ich daran, dass unsere Wirtschaft ständig wachsen wird aufgrund erhöhter Bevölkerungszahlen und anderen Faktoren, auch wenn gewisse Ressourcen begrenzt sind.
Ich hoffe darauf, dass meine Selbstdisziplin gepaart mit meinen investorischen Entscheidungen dazu führt, dass ich eines Tages davon leben kann und finanziell frei bin.
Danach sehne ich mich … Bedia

MEINEM BRUDER

Wenn wir jetzt die Heimat wieder sehen,
gehen wir bezaubert durch die Stuben,
bleiben lang im alten Garten stehen,
wo wir einst gespielt als wilde Buben.

Und von jenen Herrlichkeiten allen,
die wir draußen in der Welt erbeutet,
will uns keine freu’n mehr und gefallen,
wenn daheim die Kirchenglocke läutet.

Stille gehen wir die alten Wege
durch das grüne Land der Kindertage,
und sie werden uns im Herzen rege,
fremd und groß wie eine schöne Sage.

Ach, und alles, was auf uns mag warten,
wird den einen Glanz doch nicht mehr haben,
wie vor Zeiten, da wir noch als Knaben
Falter fingen, jeden Tag im Garten.
Hermann Hesse

https://www.youtube.com/watch?v=Tr1ZzNc55QE

Heimat der Sterne

ich bin da, sieh mal an, erinnerst du dich, wer ich bin?
Hast du in der fernen Vergangenheit einen naiven, leichtsinnigen Jungen erblickt?
Fröhlich hat er gespielt, wie die Brise summend
Der Besitz anderer sowie herrenlose Felder waren sein Spielplatz
Er kletterte auf Bäume, ohne Erschöpfung oder Langweile zu spüren
Und brachte Äste mit nach Hause, um sie zu Schwertern zu schleifen
Im Wintermatsch trieb er sich jubelnd und sorglos herum
Ohne sich um die Urteile und die Worte der Zuschauer zu kümmern
Wie oft hat er herumgealbert, sodass die anderen ihn für ein Teufelchen hielten!

Ich bin der Junge, dessen Welt hier war
Ich bin ein Tropfen deines in Flüssen strömenden Wassers
Ich bin ein Körnchen deiner wogenden Erde
Ich bin einer deiner dir zujubelnden Vögel
Der dein Glück in alle Länder bringt.

Wie oft hat dich mein Geist umarmt, vor Freude klatschend?
Deine Zedern verspotten trotzig Wind, Zeit und Sterblichkeit
Deine Söhne verbreiten Zivilisation über das Meer in die ganze Welt
Dein Morgen ruft zum Gebet auf und die Nacht nimmt dem entgegen
Die Sonne verabschiedet sich nur ungern bei ihrem Untergang von dir
Der Vollmond im April schminkt deine Augen mit magischem Licht
Grashalme und Äste wiegen sich, mit Tau und Obst bedeckt
Schönheit irrt umher, sehnt sich nach einem Zuhause
Bis sie dich gefunden und sich in dir niedergelassen hat
Und die Kunst hat dich zum Besten erklärt
Gott hat in dir in Geheimnis, Libanon, von dem wir nichts wissen
Man mag die Schlechten sowie die Guten vergessen
Man mag auch Freude, Schönheit und Gesang vergessen
Aber was immer man auch vergessen mag, vergisst man nie seine Heimat.
Elia Abu Madi (1890 - 1957)

übersetzt von Hashem

Ärger, der nicht tötet, stärkt oder Schmerz, der nicht tötet, macht dich stärker

Die unerträgliche Bedeutung des Menschseins wird uns oft erst bewusst, wenn wir an einem Tiefpunkt sind und auf den Boden der Tatsachen stoßen. Wenn ein Mensch, der am Boden liegt, wieder aufsteht und tief durchatmet, ist das vielleicht der Moment, in dem ihm das Leben bewusst wird. Das Menschsein ist in der Tat kein einfaches Ereignis. Essen, schlafen, arbeiten, ausruhen, sich fortpflanzen, Kinder großziehen, Enkelkinder sehen, in ein besseres Haus ziehen, das Bankkonto aufstocken. Unsere körperlose und ewige Existenz verweist auf größere Ziele.

Worin besteht der Tiefpunkt? Denken Sie darüber nach. Sie sind ein sehr reicher Geschäftsmann und gehen bankrott.
Oder man beendet eine lange Ehe, oder man verliert seine Hand, wenn man ein sehr berühmter Chirurg war. Oder, wie Nazim Hikmet, der sein Land so sehr liebte, dass er im Gefängnis sehnsuchtsvolle Gedichte schrieb. Ein Gedicht von Nazim Hikmet.

Heute ist Sonntag

Heute haben sie mich das erste Mal
in die Sonne hinausgelassen.
Ich bin das erste Mal in meinem Leben
so sehr verwundert darüber
das der Himmel so sehr weit weg von mir ist
so sehr blau ist
so sehr großflächig ist
ohne mich zu rühren stand ich da.

Danach setze ich mich mit Ehrfurcht auf die Erde,
meinen Rücken lehnte ich an die Wand.
In diesem Moment dachte ich weder an
das Fallen der Wellen,
noch an Streit,
noch Freiheit, noch an meine Frau.
Die Erde, die Sonne und ich…
Ich bin überglücklich…

Nazim Hikmet (1902-1963)
Übersetzung: Rana Tala
http://www.onlinekunst.de/januar/20_01_Mauer.htm

Ein konkretes Beispiel für meine Sehnsucht ist meine Beziehung zu Burhan

Bestimmt gibt es für alle Menschen im Leben eine nicht abgeschlossene Liebesgeschichte.
Meine war vor zweieinhalb Jahren beendet, bevor ich Deutschland kam. Wenn solche Liebesgeschichten nicht wirklich abgeschlossen sind, dann ist man manchmal sehr neugierig. Man fragt sich: Was macht er dann jetzt?
Stellen Sie vor, bevor ich nach Deutschland ging, führte ich ein ganz anderes Leben.
Wenn Ich jetzt an meine Geschichte mit Burhan denke und beginne darüber zu schreiben, möchte ich ihm danken. Weil er sich so viel Mühe gegeben hat – mit mir. Und ich mit ihm. Um ehrlich zu sein, manchmal sehne mich nach Burhan.

Wir haben uns in Izmir bei Amazon kennengelernt, wo ich als Kundenbetreuerin drei Jahre lang gearbeitet habe. Ich war Master Studentin an der Uni und hatte daneben noch diesen Job. Ich wollte immer die interne Prüfung (??) bestehen und im öffentlichen Dienst entweder in Ankara, oder in Izmir, wo meine Eltern wohnen, oder in Istanbul leben. Eines Tages hat Burhan mich im Pausenraum gefragt, wie es mit meinen Prüfungen läuft. Er meinte, ich würde die Prüfungen schon bestehen und falls ich Hilfe bräuchte, könnte er mir helfen.

Ich denke, er hat (fast) alles über mich gewusst. Er hat mich immer so angesehen, obwohl da viele andere Mitarbeiterinnen waren. Oder ich hatte dieses Gefühl, dass er mich genau kennt. Ich weiß es nicht. Er hat mich einfach zur Latina Dance Night eingeladen, und wir haben ein gemeinsames Hobby gefunden, über das wir reden konnten. Es passierte alles sehr schnell. Danach haben wir 3 Jahre zusammengelebt. 😊

Wenn wir abends Feierabend hatten, sind wir zusammen zu seiner Oma gegangen, die damals 83 Jahr alt war. Sie hat uns immer etwas zu Essen vorbereitet, nachdem wir sehr müde bei ihr ankamen. Wir hatten immer gutes Essen und viel Spaß miteinander.

Burhan, also mein ex Freund, kümmerte sich nach der Arbeit immer um seine Fische, die in einem Aquarium lebten. Er sah sich die Fische an, um zur Ruhe zu kommen, und ich sah ihn an, um zu Ruhe zu kommen. Ich habe ihn sehr geliebt.

Aber auf der anderen Seite sehnte ich mich danach, weiter zu lernen und Karriere zu machen. Burana hat mich sehr unterstützt, damit ich in bei Amazon weiterarbeiten konnte. Er hat mich sehr gepuscht, damit ich mich nicht auf kleineres Bild meiner Möglichkeiten konzentriere, sondern auf ein größeres Bild schaue. Ich denke wegen seiner Hilfe habe ich dort weitergearbeitet. Er war wie mein Trainer oder mein Couch 😊

Ich denke, in einer Beziehung ist es sehr wichtig, dass man sich gegenseitig hilft. Diese Unterstützung brauche ich auch manchmal, aber ich denke, dass Liebe etwas anderes sein soll.

Lieben wir Menschen, weil wir sie brauchen, oder gibt es die besondere Liebe der gegenseitigen Hilfe? Oder gibt es nur immer wieder neue Antworten auf diese Frage? Bedia

Falls du meiner Freund bist, hilf mir

Wenn du mein Freund wärst
Hilf mir, von dir wegzukommen
Oder wärst du mein Liebster
Hilf mir, mich von dir zu heilen.

Wenn ich nur gewusst hätte, dass die Liebe so gefährlich ist, hätte ich dich nicht angebetet.
Wenn ich nur gewusst hätte, dass das Meer so tief ist, würde ich nicht segeln.
Wenn ich nur mein Ende wüsste, hätte ich nicht angefangen …
Ich habe dich vermisst… bitte lehre mich, dich nicht zu vermissen.

Lehre mich, wie man die Wurzeln deiner Liebe aus der Tiefe herausreißen kann
Lehre mich, wie man eine Träne in den Augen sterben lässt
Lehre mich, wie das Herz stirbt und die Sehnsucht sich selbst tötet

Wenn du ein Prophet bist, rette mich vor dieser Magie…
Vor solchem Unglauben
Deine Liebe ist wie Untreue… Reinige mich
Von diesem Unglauben…
Wenn du stark bist… Hol mich raus
Aus diesem Meer…

Ich kenne die Kunst des Schwebens nicht
Die blaue Welle in deinen Augen… Zieht mich tiefer
Und ich habe keine Erfahrung in der Liebe…
Ich habe kein Boot…
Wenn ich dir die Liebste bin… dann schenk mir deine Hand
Ich bin verliebt von Kopf bis Fuß

Nizar Qabbani (1923-1998)
übersetzt von Mohmad Shaban

Das ist Damaskus

Und das ist das Glas und der Wein
Ich liebe…
Und manchmal schlachtet uns die Liebe ab.
Ich bin der Damaszener…
Wenn du meinen Körper öffnest, fließen Trauben und Äpfel aus ihm.
Eine Herztransplantation kann heilen, wer herzkrank ist.
Aber es konnte meinem Herzen nicht helfen, als ich mich in Damaskus verliebte
Die Minarette von Sham weinen, wenn sie mich umarmen
Und die Minarette haben Geister, genau wie die Bäume
Fünfzig Jahre lang sind meine Teile verstreut
über den Ozean…
Und es gibt keines Licht am Horizont
Ich wurde von den uferlosen Meeren hin und her geworfen.
Und ich wurde von Dämonen und Geistern heimgesucht
Hier sind meine Wurzeln…
Hier ist mein Herz, hier ist meine Sprache
Wie soll man das erklären? Braucht die Liebe eine Erklärung?

Nizar Qabbani (1923-1998)
übersetzt von Mohmad Shaban

Foto von Anne Nygård auf Unsplash